Artikel: 6. Deutschland-Barometer Depression: 20 Monate bis Menschen mit Depression sich Hilfe suchen
Im Schnitt vergehen 20 Monate, bis sich Menschen mit einer depressiven Erkrankung Hilfe suchen. Das zeigt die aktuelle Studie - Deutschland-Barometer Depression - der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention.
Die Befragung untersucht jährlich Einstellungen und Erfahrungen zur Depression, in diesem Jahr insbesondere die Behandlungssituation. Die Deutsche Bahn Stiftung fördert die Studie.
Die Ergebnisse des 6. Deutschland Baromter-Depression wurden am 8.11. aus dem Hauptbahnhof Berlin der Öffentlichkeit präsentiert. Prof. Ulrich Hegerl (r.), Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Inhaber der Senckenberg-Professur an der Goethe-Universität Frankfurt stellte die zentralen Ergebnisse vor und sprach mit den Betroffenen M. Wiencke und J. Laschewski.
Christian Gravert, über 10 Jahre lang enger Begleiter der Deutsche Bahn Stiftung - als Mitglied des Fachkuratoriums sowie als Leitender Arzt der DB AG - moderierte die Präsentation.
Gründe: krankheitsbedingte Antriebslosigkeit, Stigma und Versorgungsengpässe
„Die Depression ist eine schwere, oft auch lebensbedrohliche Erkrankung. Dass ein großer Teil der Betroffenen Monate oder sogar Jahre braucht, um sich Hilfe zu suchen, ist besorgniserregend. Gründe dafür sind die für eine Depression typische Hoffnungslosigkeit und Antriebslosigkeit, aber auch Versorgungsengpässe und die immer noch bestehende Stigmatisierung psychischer Erkrankungen“, erklärt Prof. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention / Senckenberg-Professur an der Universität Frankfurt/Main.
Wochenlange Wartezeit auf Termin beim Facharzt und Psychotherapeuten
Über alle befragten Betroffenen hinweg dauert es durchschnittlich 20 Monate, bis sich Menschen mit Depression Hilfe suchen. Dabei gibt es große Unterschiede: Ein Drittel aller Betroffenen sucht sich sofort Hilfe. Bei 65% hat es hingegen länger gedauert, bis sie professionelle Unterstützung in Anspruch genommen haben – im Schnitt 30 Monate. Wenn sich die Betroffenen Hilfe suchen, wenden sie sich mehrheitlich zunächst an den Hausarzt (51%). Jeder vierte Patient (25%) geht direkt zum Facharzt und 19% als erstes zum Psychotherapeuten.
Heilpraktiker geben nur 0,7% der Befragten mit Depression als erste Anlaufstelle an. In der Befragung berichten die Betroffenen rückblickend jedoch von wochenlangen Wartezeiten, ehe eine Behandlung beginnen konnte. So gaben die Betroffenen an, 10 Wochen auf ein Erstgespräch beim Psychotherapeuten gewartet zu haben, bei Fachärzten im Schnitt 8 Wochen. Fünf Therapeuten mussten die Betroffenen nach ihrer Erinnerung im Schnitt kontaktieren, ehe sie einen Termin bekamen. „Bei einer so leidvollen Erkrankung wie der Depression, die zudem mit hoher Suizidgefährdung einhergeht, sind so lange Wartezeiten nicht akzeptabel“, sagt Hegerl.
Der Mehrheit kann mit Psychotherapie und Medikamenten geholfen werden
Gemäß der Nationalen Versorgungsleitlinie sind Medikamente und/oder Psychotherapie die beiden wichtigsten Behandlungssäulen bei Depression. Von den Befragten, die aktuell erkrankt sind, bekommen 62% Medikamente und 48% Psychotherapie, 35% erhalten eine Kombination aus beidem. Dabei erleben die Betroffenen beides als wirksam: Psychotherapie empfinden 85% der befragten Depressionspatienten als hilfreich oder eher hilfreich, bei Medikamenten sind es 80%.
Selbsthilfe und Online-Angebot als zusätzliche Unterstützung
Selbsthilfegruppen werden von 8% der Betroffenen besucht. Digitale Gesundheitsangebote nutzen bisher nur 7% der an Depression Erkrankten, 26% hatten dagegen noch nichts von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) gehört. Insgesamt empfanden über zwei Drittel der befragten Menschen mit einer Depression (68%) die leitlinienkonformen und vielen alternativen Behandlungsangebote als „Dschungel“, in dem es schwer sei, einen Überblick zu bekommen. Weitere Aufklärungsarbeit ist deshalb nötig.
Alternative Medizin selten von Depressionspatienten genutzt
9% nutzen alternative, nicht-evidenzbasierte Verfahren wie Homöopathie, Heilsteine oder Darmreinigung und geben dafür jährlich im Schnitt 227 Euro aus. Als Hauptgrund wird genannt, selbst etwas für die Behandlung beitragen zu wollen (57%), aber auch lange Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz oder Zweifel an der Schulmedizin spielen eine Rolle (je 19%).
Insgesamt ist den Befragten wichtig, dass es für den gewählten Behandlungsweg wissenschaftliche Wirksamkeitsbelege (Evidenz) gibt. So gaben 78% der Befragten mit Depression an, dass ihnen wissenschaftliche Wirksamkeitsbelege bei der Wahl der Behandlung wichtig seien. „Es gibt einen großen Markt an Verfahren, die große Versprechen zur Genesung machen und viel Geld kosten. Ich kann Patienten nur empfehlen, sich in den Nationalen Versorgungsleitlinien Depression zu informieren. Dort sind alle Verfahren, die ausreichende wissenschaftliche Wirksamkeitsbelege haben, aufgeführt. Die Behandlung mit diesen Verfahren wird in den allermeisten Fällen von den Krankenkassen getragen“ so Ulrich Hegerl. Mehr zur Nationalen Versorgungsleitlinie Depression unter: www.leitlinien.de/themen/depression
Weitere Informations- und Hilfsangebote
- Wissen, Selbsttest und Adressen rund um das Thema Depression
- deutschlandweites Info-Telefon Depression 0800 33 44 5 33 (kostenfrei)
- fachlich moderierte Online-Foren zum Erfahrungsaustausch für Erwachsene und junge Menschen ab 14 Jahren
- kostenfreies Online-Programm für Menschen mit leichteren Depressionsformen in 15 Sprachen (u.a. Ukrainisch und Arabisch): https://tool.ifightdepression.com
- fachlich moderierte Online-Foren zum Erfahrungsaustausch für Erwachsene www.diskussionsforum-depression.de und junge Menschen ab 14 Jahren www.fideo.de